"Geliebter junger Mann,
dies ist ein Liebesbrief. Ich sage es dir lieber gleich, weil du es vielleicht nicht ahnen konntest. Ein Liebesbrief ist ein altmodisches Medium, um altmodische Dinge zu sagen und altmodische Geständnisse zu machen, die man im richtigen Leben nicht über die Lippen bringt. Man kann Geständnisse auch auf die moderne Art machen: digital, mit Musik und Geldgeschenken. Dieses Geständnis ist so altmodisch, ich schreibe es mit Tinte und auf knittriges Papier und werde es vielleicht niemals über mich bringen, es dir zu überreichen. Denn vielleicht fehlt mir diese eine altmodische Sache, die man gemeinhin als Mut bezeichnet. Ich würde dir alles persönlich sagen, mit gesprochenen Worten, mit meiner eigenen Stimme, doch immer, wenn ich vor dir stehe, kommt kein Wort aus meinem Mund. Sitzen wir irgendwo nebeneinander, machen in meinem Innern kleine Menschen mit stumpfen Bastelscheren aus meinen Organen kleine Schnipsel, blutige Scherenschnitte mit ausgefransten Kanten. Manches Mal schnürt deine Anwesenheit mein Herz und meine Lungenflügel ganz fest zu einem kleinen Paket zusammen, so dass beide ihre Funktion für einige Zeit nicht mehr ausüben können. Manchmal bebt die Erde, wenn du neben mir stehst, dann möchte ich die Arme ausstrecken und mich an dir festhalten, dich berühren. Doch die Umstände teilen unser gemeinsames Dasein in zwei Hälften – Dich und Mich, und irgendwie ist da kein Uns.
Geliebter junger Mann, du siehst, wie es um meinen Geisteszustand steht: Dies ist ein Liebesbrief. Einer, wie er im Buche steht. Einer, wie du ihn vielleicht nie bekommen wolltest. Ich sage es dir jetzt gleich, weil ich an seinem Ende vielleicht vollständig meinen Verstand verloren haben werde."
mein ultimativer tipp für den nächsten liebesbrief: bei sarah abschreiben!
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